„Kinder sind Markthändler“ – ein Rundum-Erfolg
„Möchten Sie die Blätter am Kohlrabi behalten“, fragt Jamica die Kundin. Nebenan rechnet Joel die Kosten zusammen, eine Klassenkameradin hilft. Dann wird abkassiert, Wechselgeld wandert von der roten Kasse zurück in die Hand des Einkäufers. Soweit, so normal – schließlich ist Markttag. Außergewöhnlich aber sind die Akteure: an diesem Tag Zweitklässler der Dalberg-Schule Aschaffenburg-Damm.
Wenn Kinder auf dem Markt mit Eifer und Ernst echte Waren an richtige Kunden verkaufen, steht dahinter das Projekt „KidsMarktstand“ der „Jugend mit Zukunft gGmbH“. Auf Märkten in Leipzig, Chemnitz und anderen bestens eingeführt, war der KidsMarktstand erstmalig in diesem Sommer auch auf dem Aschaffenburger Mittwochsmarkt zu Gast.
Motor der Initiative ist der Aschaffenburger Wolfgang Gärthe. Obst und Gemüse zum Verkaufen finanzierte eine Spende des Rotary Clubs Aschaffenburg.
Initiator Wolfgang Gärthe und Rotary-Präsident Gerald Breunig ziehen ein Resumee
Siebenmal haben im Juli und September auf dem Aschaffenburger Markt Kitas, Grundschulen und eine Tagesförderstätte Waren verkauft. Wie wurde das angenommen?
Gerald Breunig: Wir haben nur positive Resonanz bekommen, sowohl von den beteiligten Schulen und Kindertagesstätten als auch von Marktgästen. Sie haben gut eingekauft und fanden die Idee toll. Auch für uns Rotarier ist es ein lohnendes Projekt, das wir hoffentlich fortführen.
Sie, Herr Gärthe, blicken mit breitem Horizont auf den Marktstand. Wie lautet Ihr Fazit?
Gärthe: Der Einsatz hat alles bestätigt, was man mit einem KidsMarktstand erreichen kann: die Eigenbeteiligung der Kinder, gute Vorbereitung, die strahlenden Gesichter, wenn Kunden am Stand sind, das Lernen, die Verwertung der Einnahmen.
Tatsächlich können wir zwei Highlights in Aschaffenburg vermelden. Mit unserem Ein-Mann-Unternehmen sind wir auf rund 80 Markttage in Deutschland gekommen, davon sieben in Aschaffenburg. Wir haben hier insgesamt den bundesweit größten Umsatz geschaffen. Und eine Einrichtung hat über 600 Euro eingenommen, ein Spitzenwert. Normalerweise liegen die Einnahmen zwischen 300 und 400 Euro.
Was genau ist die Idee hinter den Kids-Marktständen?
Gärthe: Wir wollen Kinder auf dem Weg in die Lebenswelt begleiten. Ein echter Markthändler zu sein, echt zu verkaufen, das ist großes Erlebnis für die Kinder. Man sieht es ihnen an. Wenn sie ihre Arbeitskleidung anziehen, spüren sie, wir haben hier was zu sagen. Dafür findet man sonst wenig Beispiele.
Sehen Sie neben dem Markteinsatz weitere Effekte?
Gärthe: Das Ende ist die Verwertung der Einnahmen. Wir empfehlen, wie in jedem Unternehmen, vier Posten: Rücklagen für „schlechte Zeiten“. Lohn ist zu zahlen, man braucht Betriebsmittel und man kann etwas spenden. Dazu haben sich die Kinder vorbereitet auf den Markt. Sie haben Bastelsachen gerichtet. Sie haben für den Verkauf gearbeitet, und sie können die Einnahmen verwerten. Kinder sind damit nicht überfordert, sondern haben spielerisch eine Menge gelernt. Vielleicht zum ersten Mal haben sie einen Zusammenhang gefunden zwischen Arbeit und Lohn.
Breunig: Und sie machen sich Gedanken, wohin sie etwas spenden möchten oder was sie dringend in Kita oder Schule brauchen. Das ist Motivation, aktiv und erfolgreich zu sein. Kinder merken, je mehr wir einnehmen, desto größer ist der Nutzen für unsere Einrichtung. Darauf kommt es letztlich an.
Gärthe: Es ist auch Berufsorientierung dabei. Der eine oder andere möchte vielleicht das Verkaufen zum Beruf machen oder eine marktnahe Tätigkeit aufnehmen.
Und es trägt dazu bei, dass Frischemärkte erhalten bleiben.
Breunig: Ja, der KidsMarktstand ist einfach ein tolles Markterlebnis. Er ist eine schöne Ergänzung und keine wirkliche Konkurrenz zu den Markthändlern.
Wie wird es weitergehen?
Gärthe: Kürzlich war ich zu einer Video-Konferenz zum Thema KidsMarktstand eingeladen. Veranstalter war der Marketing-Fachverbandes der Frischemärkte Deutschlands. Fast alle Großstädte wie Hamburg, Berlin, München, Nürnberg sind in dem Verband vertreten. Keiner bietet bisher einen KidsMarktstnd an, aber alle in der Videokonferenz wollten sich damit beschäftigen. Meine These: 2026 wird jeder Frischemarkt einen KidsMarktstand haben. Weil einfach alles stimmig ist: Kinder lernen etwas, Frischemärkte profitieren, es hilft bei der Berufsorientierung…. Ganz abgesehen von dem generierten Mehrwert durch die Einnahmen. Ich selbst bin heilfroh, jetzt einen KidsMarktstand in Aschaffenburg vor meiner Tür zu haben.
Breunig: Von unseren eigenen Kindern weiß ich, wie stolz sie sind, über ein bisschen selbstverdientes Geld zu entscheiden. Herr Gärthe hat mich dann für das Projekt begeistert. Ingesamt wurde es sehr gut angenommen. Eine rundum gelungene Sache. Ich hoffe sehr, dass ich meine Rotary-Nachfolger im nächsten Jahr für die Fortführung gewinnen kann.
Das Projekt „KidsMarktstand“
Es ist ein Teil der Initiative „Jugend mit Zukunft gGmbH“. Nach den KidsKaufläden (seit 2014) gibt es seit 2018 auch KidsMarktstände, unter anderem in Leipzig, Halle, Rostock, Wächtersbach. Mit ins Leben gerufen hat die Initiative der Aschaffenburger Wolfgang Gärthe. Indem Kinder Obst, Gemüse und Selbstgebasteltes verkaufen, sammeln sie spielerisch umfassende Erfahrungen: Sie müssen Waren aussuchen, Preise festlegen und kassieren. Sie dürfen Schilder malen, Kunden bedienen und nicht zuletzt über die Verwendung des erwirtschafteten Geldes entscheiden.
Beteiligt waren: Haus für Kinder, Maria Geburt in Aschaffenburg-Schweinheim, Kath. Kindergarten St. Michael in Aschaffenburg-Damm, Marienkindergarten in Haibach, Evang. Kindertagesstätte Christuskirche, Dinglerstraße in Aschaffenburg, Kath. Kita St. Peter und Paul in Mainaschaff, Tagesförderstätte der Lebenshilfe aus Elsenfeld, Dalberg-Grundschule aus Aschaffenburg-Damm.